Wer war eigentlich Lou Andreas-Salomé?
In einer kürzlich beendeten Lektüre - Andrew Nagorski, Saving Freud - kam sie vor: sie kannte Sigmund Freud, verkehrte mit ihm und arbeitete selbst als Psychoanalytikerin. In einem YouTube Kanal wurde sie kürzlich zitiert und ihre Hommage an Rainer Maria Rilke vorgetragen.
Die Aufnahme entstand 1897 im Atelier Elvira (München).
Aber als ob Rilke und Freud nicht schon genug Stoff böten, da ist noch einiges mehr im Leben dieser interessanten Frau.
Sie war eine Figur, die 19. und 20. Jahrhundert miteinander verband. 1861 in Sankt Petersburg geboren und 1937 in Göttingen gestorben, war sie ein Kind jener von Stefan Zweig beschworenen „Welt von Gestern“, die erst deren Ende und dann die Zerstörung ihres Erbes erleben musste.
Aus privilegierter Familie mit französisch-russisch-dänisch-deutschen Wurzeln stammend, lebte sie selbst in Rußland, der Schweiz, Italien, Österreich und Deutschland. Dort hatte sie Aufenthalte und Bekanntenkreise in Berlin, Göttingen und München.
Nachdem sie in Rom über die deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Malwida von Meyenburg Kontakt zu Friedrich Nietzsche und dessen Freund Paul Ree bekommen hatte, entspann sich zwischen den drei jungen Leuten eine besondere Ménage à trois. Nachdem Nietzsche unter dem Einfluß seiner Schwester dieses Dreieck verlassen hatte, lebten Salomé und Ree einige Jahre auf freundschaftlicher Basis in Berlin.
Dort lernte sie den Orientwissenschaftler Friedrich Carl Andreas kennen. Dieser verfiel ihr und drohte, sich das Leben zu nehmen, sollte sie ihn nicht heiraten. Lou Salomé willigte ein. Doch die Ehe der beiden widersprach in jeder Hinsicht damaligen Vorstellungen: sie wurde nicht vollzogen, das Paar lebte in getrennten Wohnungen, und Andreas war zeitweilig von den schriftstellerischen Einkünften seiner Ehefrau abhängig. Die Ehe hatte allerdings bis zum Tode von Andreas, der 15 Jahre älter war, Bestand.
Mit Rilke unterhielt sie zunächst eine Liebesbeziehung, dann, von 1901 bis zu Rilkes Tod 1926, eine enge Freundschaft. Über einen späteren Liebhaber kam Andreas-Salomé dann mit Sigmund Freud in Kontakt. Sie hörte seine Vorlesungen, besuchte die so genannten Mittwochsgesellschaften. Als Schülerin und zeitweilige Patientin Freuds baute sie eine langjährige platonische Beziehung zu ihm auf, die bis zu ihrem Lebensende anhalten sollte.
1915 eröffnete sie in Göttingen eine psychoanalytische Praxis. Als sich Andreas-Salomé 1930 im Krankenhaus befand, besuchte ihr zu diesem Zeitpunkt schon sehr alter Mann sie sechs Wochen lang täglich. Dies kann als Beleg dafür dienen, dass sich ihr Verhältnis zueinander gebessert hatte.
„So dauerhaft beweist sich doch nur das Echte“, kommentierte auch Sigmund Freud diese Entwicklung brieflich.
Friedrich Carl Andreas starb noch 1930. Lou Andreas-Salomé, deren Gesundheitszustand sich seither weiter verschlechterte, folgte ihm 1937 nach.
Wenige Tage nach ihrem Tod wurde ihre Bibliothek von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Die Psychoanalyse galt den Nazis als jüdische Wissenschaft. Freud konnte mit Unterstützung aus dem Ausland Wien einige Zeit nach dem Anschluß Österreichs nach London verlassen, wo er kurze Zeit später starb.
Lou Andreas-Salomé hat von 1885 bis 1931 neunzehn Texte veröffentlicht, überwiegend Bücher. Hierzu gehören Erzählungen und Romane, etwa "Ruth" oder "Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte", aber auch nicht-fiktionale Texte wie "Nietzsche in seinen Werken" oder "Mein Dank an Freud" - das letzte zu ihren Lebzeiten erschienene Werk.
Aus dem Nachlaß wurden vor allem Tagebücher und zahlreiche Briefwechsel publiziert. Sie selbst ist - dank ihres bewegten Lebens - Gegenstand vieler Veröffentlichungen und Biographien. Giuseppe Sinopoli komponierte eine Oper auf sie, die 1981 in München uraufgeführt wurde; im Jahr 2016 erschien ein Film.
Aus dem 19. Jahrhundert stammend, war sie aber auch an der Entwicklung der europäischen Moderne in der Zeit um die Jahrhundertwende und dann in der Zwischenkriegszeit mit den sich nun auch für Frauen stärker bietenden Möglichkeiten beteiligt. Für die Erforschung der Kulturgeschichte jener Jahrzehnte kommt ihr eine hohe Bedeutung zu.