Das Selfie als ekstatische Geste

Philippe Delerm, L'extase du selfie et autres gestes qui nous disent, 2019, 112 Seiten.

Der Autor, geboren 1950, gilt als einer der meistgelesenen französischen Schriftsteller. Das schmale Bändchen enthält knapp fünfzig Alltagsbeobachtungen, wie das Glas, das man in der Hand hält, aus dem man aber nicht trinkt, die Mandarine, die man mit einer Hand schält, das rätselhafte Aufkommen der E-Zigarette – und, und, und.

In kurzen Kapiteln, oft kaum länger als eine Seite, umkreist Delerm uns und unser Verhalten, geht der Performativität alltäglicher  Verrichtungen auf den Grund und hält präzise Beobachtungen fest. Er spekuliert aber auch kräftig drauflos, etwa wenn es um die Gründe für die Handhaltung der Mona Lisa geht.

Was geschieht mit mir, wenn mir jemand ein Buch in die Hand gibt? Wie zieht der Einkaufswagen mich an den Regalen des Supermarktes entlang? Beweist das Selfie unsere Existenz?

Die Lektüre dieser Vignetten ist rasch erledigt, aber man sinnt dem Gelesenen noch länger nach. Dies liegt an dem eleganten Französisch, das gleichermaßen gewählt und leichtfüßig daherkommt, aber auch an den Inhalten. Das Beobachtete betrifft uns, zeigt uns, demaskiert uns. Oder – schlimmer noch – es übergeht uns, redet von jemand anderem.

 

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Von der Widerständigkeit des Lesens